Predigten

Predigten über Jakob-Teil 3

Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: 1. Mose 29, 1-30, Selbstfindung in Partnerschaft und Arbeit
Prediger: Pfr. Andreas Friede-Majewski


Liebe Gemeinde,

wir haben Jakob vor drei Wochen verlassen, als er den entscheidenden Schritt hin zum Erwachsenwerden gemacht hat. Nach seiner gescheiterten Rebellion gegen die Ordnung und Hierarchie seiner Familie und Sippe musste er fliehen. Er wollte nicht unter seinem Bruder die zweite Geige spielen, unter ihm ein Leben lang dienen. Jetzt hat er seine Freiheit – aber alles verloren. Er hat die Freiheit statt der Sicherheit gewählt. Vor ihm liegt der Weg der Bewährung in der Freiheit: Jetzt ist er in der Wüste und im Gebirge auf lange Zeit auf sich selbst gestellt. Keine Mama mehr, die ihn beschützt und verwöhnt. Jetzt muss er tun, was er nie gelernt hat: Kämpfen, sich durchbeißen. Jagen, damit er was zu essen hat. In der Wildnis ohne Schutz und Gemeinschaft überleben. In vielen frühen Jägerkulturen gehörte es zum Erwachsenwerden für die jungen Männer, dass sie alleine hinaus geschickt wurden in die Wildnis und dort auf sich gestellt überleben mussten. Wer nicht gegen die übermächtige Natur bestand, konnte seiner Familie, seinem Stamm als Mann nichts nutzen. Aber es gab dabei noch eine zweite Aufgabe neben dem reinen Überleben: Die Visionssuche. Die jungen Männer sollten in der Wildnis erfahren, dass sie eben nicht auf sich allein gestellt sind. Dass die Macht Gottes, die Macht der Götter sie begleitet. In Träumen, Visionen, Erscheinungen begegnete ihnen eine andere Wirklichkeit und veränderte sie für ihr Leben.

Davon hatten wir gehört: Von der Himmelstreppe, die Jakob träumt, von dem Gott seiner Väter, der ihn segnet, ihm Schutz und Begleitung zuspricht.
Von dem langen Weg, der dann folgt, erzählt die Geschichte nichts. Alles, was daran wichtig ist, ergibt sich aus dem Fortgang der Geschichte: Jakob überlebt die Wildnis. Aus dem Muttersöhnchen ist ein Mann geworden, der sich an seinem Ziel gleich gegen die Regel der dortigen Stämme auflehnt. Der Brunnen, an dem er seine Cousine Rahel trifft, darf erst geöffnet werden, wenn alle Herden zusammen getrieben sind. Darum schert sich Jakob nicht. Wer aus der Wüste kommt, scheut den Konflikt nicht. Er will Rahel beeindrucken, der er wohl vom ersten Augenblick an verfallen ist. Er öffnet den Brunnen, tränkt ihre Tiere und gibt sich zu erkennen.
Was hat euch erwachsen werden lassen? Wann endete bei euch die Kindheit? Durch Schule, Ausbildung und Studium verlängert sich für Menschen unserer Kultur die Kindheit bis weit ins Erwachsenenalter. Man kann sich noch nicht selbst versorgen, bleibt abhängig. Die Freiheit ist keine erkämpfte, sondern eine von den Eltern subventionierte. Uns hat niemand mit 16 in die Wüste gejagt und gesagt: sieh zu, ob und wie du jetzt überlebst!
Viele suchen die Freiheit und den Ersatz für den Überlebenskampf in künstlichen Abenteuern: Ich bin mit meinen Freunden in die Berge gezogen, wir sind gewandert bis zur Erschöpfung, sind geklettert, Berg gestiegen, haben unser Leben dabei aufs Spiel gesetzt. Andere sind Motorrad gefahren, haben Freiheit und Risiko auf den Landstraßen und in der Kurvenhatz gesucht. Viele suchen die große Freiheit heute beim Partymachen, beim nächtelangen Durchfeiern. Oft verbunden mit anderen Grenzerfahrungen durch Alkohol oder Drogen. Wieder andere machen Leistungssport oder gehen ins Ausland, in die Fremde, um sich dort auszuprobieren. Immer aber geht es darum, sich selbst und die eigenen Grenzen auszutesten, sich intensiv zu erfahren in der Angst, im Rausch, im kalkulierten Risiko. Kleine Fluchten aus einem behüteten, abgesicherten, überregulierten Alltag, der Jugendliche im Aufbruch mit Normalität und Langeweile zu ersticken droht. Die Wildnis, in die Jakob hinaus musste, ist heutzutage gezähmt. Also schaffen wir uns Bereiche einer künstlichen Wildnis.

Wann und wodurch sind wir zwischen Kindheit und der Gründung einer eigenen Familie zum Mann, zur Frau geworden? Durch welche Wildnis wurden wir auf das Leben vorbereitet? Das fragt uns Jakobs Geschichte heute Morgen.
Die Aufnahme bei Laban ist für Jakob nur scheinbar freundlich. Aus dem Jungen, der aus der Ordnung der Familie ausgebrochen ist, rebelliert hat, ist jetzt ein Knecht seines Onkels geworden. Der nicht einmal bezahlt wird. Die Realität hat Jakob eingeholt. Seine Größenphantasien sind geplatzt und zurück geblieben ist die reale Ohnmacht. Er ist ein Nichts, ein mittelloser Niemand, vollkommen abhängig von seinem Onkel und dessen Wohlwollen.
Erwachsen werden bedeutet festzustellen, dass die Welt nicht so ist, wie wir sie gerne hätten. Dass sie auch nicht auf uns gewartet hat, um uns zu Gefallen zu sein. Wir verändern diese Welt nicht von einem auf den anderen Tag, sondern müssen uns in ihr einordnen, unterordnen und in Dienst nehmen lassen. Es ist ein bitteres Erwachen für Jakob und für jeden, dem und der das widerfährt. Wenn die Seifenblasen jugendlicher Träume platzen und eine oft doch sehr raue Wirklichkeit in den Blick kommt.

Für mich war das der Beginn meines Vikariates hier in Bierstadt. Nichts im Studium hatte mich darauf vorbereitet. Nichts passte mehr, nicht einmal die Kleider. Was in Marburg cool war, ließ einem in Wiesbaden aussehen, als sei man ein Punk oder ein Obdachloser – ich übertreibe sicher etwas. Die revolutionären Phantasien, die in Marburg alle miteinander teilten, wurden in der Gemeinde gleich hinterfragt. In Bierstadt wollte niemand die Welt revolutionieren. Da wählte damals die Mehrheit SPD, aber viele auch CDU und FDP. Unter Studenten in Marburg wählte man links – da galt die SPD schon als rechts. Da saß sogar eine starke Fraktion der DKP im Rathaus, was wir cool fanden, auch wenn wir sie nie gewählt hätten. Alle, wirklich alle, die wir als Studenten kannten, waren gegen die Startbahn West und die Mittelstreckenraketen und den Nato-Doppelbeschluss. Hier in Bierstadt spaltete das politische Engagement der Pfarrer in diesen Fragen die Gemeinde. Herzlich willkommen in der Wirklichkeit, im Erwachsensein.
Die Welt verändert sich, wenn wir in den Beruf gehen, eigene Verantwortung übernehmen müssen, Leistung bringen müssen, uns einer vorgegebenen Zeitstruktur unterwerfen müssen, von dem leben müssen, was wir verdienen, unseren Alltag mit allen seinen Pflichten selbst verrichten müssen. Die Welt verändert sich und wir verändern uns.

Nach 2 Monaten macht Onkel Laban Jakob klar, was seine Stellung ist: „Zwar bist du mein Verwandter, aber sollst du mir darum umsonst dienen? Sag an, was dein Lohn ist?" Darin steckt eine doppelte Botschaft: 1. Du hast hier gar nichts zu melden. Wenn ich es so will, bist du hier nicht mehr als ein billiger Sklave. 2. Nur, weil ich so großzügig bin und die Macht über dich habe, darfst du dir etwas als Lohn wünschen. Für Jakob gibt es nur eines, wofür es sich lohnt, Labans Sklave zu sein: Die Liebe zu Rahel. Er will nichts, nur Labans Tochter. Und er ist unverschämt genug, das auszusprechen. Er bietet einem mächtigen Beduinenfürsten die Stirn: Er, der mittellose Verwandte, will seine Tochter. Als Brautpreis hat er nichts als seine Arbeitskraft zu bieten. Jetzt ist er in Labans Hand und Labans Antwort ist wieder doppelbödig: Lieber gebe ich sie dir als einem anderen. Klar, denn bei Jakob kann er den Brautpreis selbst festlegen: Sieben Jahre soll Jakob ihm für Rahel dienen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat Jakob ein realistisches Ziel: Rahel. Die Liebe zu dieser Frau verleiht ihm Flügel: Die sieben Jahre Knechtschaft kommen ihm vor wie sieben Tage!

Erwachsenwerden und Selbstfindung hat immer auch mit der Liebe zu tun. In der Liebe begegnet uns eine Macht über unser Leben, die selbst dem Sinnlosen Sinn gibt, die das Schwerste ertragen hilft, dem Leben ein Ziel gibt. Die Liebe zähmt Jakob, den Rebell und sie hat viele Rebellen gezähmt. Denn die Liebe verlangt Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit, Perspektive, Zukunft und verträgt sich nicht mit der Rebellion. Sie braucht die Ordnung, die Normalität. Die Liebe gibt viel, aber sie nimmt eben auch. Wie war das in unserem Leben mit der Kraft der Liebe und den Opfern für die Liebe? Was warst du bereit, für die Liebe auf- und wegzugeben? Was hat sie dir an Sinn, an Ziel, an Tiefe geschenkt?
Sieben Jahre verfliegen wie ein Tag und als es so weit ist, ist Jakob so berauscht von seinem Glück und dem Hochzeitswein, dass er nicht bemerkt, wie sein Schwiegervater ihn um seinen Lohn betrügt. Jakob, der Betrüger, der Listige, ist auf einmal der Betrogene: Der Schwiegervater schiebt ihm statt dem verabredeten Brautpreis die hässliche älteste Tochter, Lea, ins Bett. Nicht schwierig bei den Beduinen, deren Frauen bis zum Moment des Beischlafs vollverschleiert sind und sich dann in einem dunklen Zelt zu ihrem Mann legen. Jakob ist für den Betrug genauso blind wie damals sein Vater Isaak bei seinem Betrug. Der Listige zahlt einen hohen Preis für seine List: Sieben weitere Jahre muss er Sklave Labans sein. Was ihm den Handel erträglich macht, ist einzig die Tatsache, dass ihm Laban Rahel nach den offiziellen Hochzeitsfeierlichkeiten ebenfalls zur Frau gibt. Jetzt hält er auch die Frau seiner Sehnsucht im Arm, deren Liebe ihm Flügel verleiht.
Was lernen wir, wenn wir hier in den Brunnen der Geschichte schauen? Ich denke, die Geschichte erzählt davon, dass sich das Leben nicht überlisten lässt. Dass nicht nur Jakob, sondern wir alle irgendwann im Leben den Preis dafür zahlen, wenn wir das Leben, unsere Mitmenschen, Gott, meinten überlisten zu müssen. Die Weisheit dieser Geschichten ist, dass unser Verhalten, unser Tun, unser Umgang mit unseren Mitmenschen, nicht ohne Konsequenzen ist. Auch wenn es Jahre und Jahrzehnte dauern kann, bis wir das spüren, wie Jakob. Jakob hätte bei seiner Lebensbilanzierung zu diesem Zeitpunkt sicher nicht klagen dürfen.

Laban meint nun, durch weitere Betrügereien den ungeliebten Schwiegersohn weiter zum Knecht machen zu können. Er vereinbart mit Jakob, dass dieser alle gescheckten, gefleckten und bunten Tiere seiner Herde als Ausstattung für seine Töchter bekommt. Denn eine solche hatte er zu zahlen. In der Nacht, bevor Jakob die Herde trennen will, schafft er heimlich all diese Tiere beiseite und führt sie zur drei Tage entfernten Herde seiner Söhne. Jakob steht einmal mehr ohne Lohn da und muss weiter Labans Knecht bleiben. Nun schlägt der betrogene Betrüger zurück. Durch einen Trick, den ich als Nichtviehzüchter ehrlich gesagt nicht verstehe, sorgt er dafür, dass die Herde drei Jahre lang nur gescheckte, gefleckte und bunte Jungtiere bekommt und er auf diese Weise ein reicher Mann wird. Als seine Tricksereien auffliegen und der Zorn der Söhne und regulären Erben Labans geweckt ist, muss er wieder einmal fliehen. Einmal mehr ist der alte Rebell gegen die Ordnung der Stämme durchgebrochen. Aber dieses Mal flieht er nicht als Mittelloser, sondern als gutsituierter Mann: Mit vier Frauen, elf Söhnen und einer Tochter, Knechten und Mägden, Kamelen, Schafen und Ziegen. Er ist ein selbständiger Beduinenfürst geworden, der eine eigene Sippe gegründet hat und nun anführen kann – ein freier Mann. Ein erfolgreicher Unternehmer gewissermaßen. Der Segen Gottes für den mittellosen Flüchtling hat reiche Frucht getragen.
Auf welchen Segen schaust du, schaue ich, wenn wir zurück schauen: In der Familie, im Beruf, im Freundeskreis, in den Bierstadter Vereinen und unserer Gemeinde? Was sind die Früchte unseres Lebens – und können wir sie als Segen sehen? Und nicht ausschließlich als unseren Verdienst? Immer wieder regt diese Geschichte zum Nachdenken über uns selbst und unsere eigene Lebensgeschichte an – wie wurden wir, wer wir heute sind, hält uns den Spiegel vor und lädt ein zum Nachsinnen.

„Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst." Diese Zusage steht auch über unserem Leben und es wäre gut, die Spuren dieses Segens im Rückblick zu sehen und in der Gegenwart zu spüren.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen