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15. Sonntag nach Trinitatis

Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: 1. Mose 2, 1-25 Die zweite Schöpfungserzählung
Prediger: Pfr. Andreas Friede-Majewski


Liebe Gemeinde,

was kann uns ein mehr als 2500 Jahre alter Versuch, die Entstehung der Welt zu erklären, heute noch sagen? Wir wissen es doch viel besser, wie der Kosmos, wie die Tiere, wie der Mensch entstanden ist!
Ja, wir wissen über das „wie" besser Bescheid. Wenn es diesem Text allein um das „wie" ginge, könnten wir ihn zur Seite legen.

Es geht ihm aber nicht darum. Die beiden Schöpfungserzählungen wollen über das warum ins Nachdenken bringen: Warum ist die Welt so, wie sie ist? Warum gibt es die Welt überhaupt? Warum gibt es mich?

Diese Frage beantwortet sie aus der Perspektive der Menschen, die diesen Text schrieben.

Sie leben als Ackerbauer. Deshalb erzählen sie davon, dass die Erde vor dem Erschaffen Wüste ist. Was ihr fehlt ist das Tätigwerden Gottes und des Menschen – Elohim hatte es noch nicht regnen lassen und es war kein Mensch, der die Erde bebaute. Der Ackerbauer erzählt von der Bedeutung seiner Arbeit für das Schöpfungsgeschehen – ohne ihn gibt es keinen „Acker". Das ist sein Anteil am Erschaffen der Welt. Seine Arbeit ringt den Steppen- und Wüstenlandschaften Israels die Äcker ab. Aber ohne den Nebel, der die Erde befeuchtet, wächst und gedeiht nichts. Das ist Gottes „Schöpfungshandeln" bis in seine Gegenwart.

Woraus entstehen heute neue Welten? Wie können wir von einem Schöpfer erzählen? Wir müssten von geistigen Tätigkeiten erzählen. Vom Erfindergeist, der ständig Neues schafft. Von Algorithmen, mathematischen Formeln, die Autos allein fahren lassen, von Bioalgorithmen, die neue Bausteine des Lebens hervorbringen. Eine Schöpfungsmacht, die wir von unseren Erfahrungen her denken, müsste für das Werden und Wachsen des Kosmos und die Entstehung des Lebens einen genialen, sich ständig weiter entwickelnden Algorithmus des Lebens und Werdens geschrieben haben, von dessen Formeln wir in der Erforschung der Naturgesetze und der Kosmologie bisher nur wenige Bausteine entschlüsselt haben.

Aber zurück zu unserem Text.

Adam kommt von dem hebräischen Wort Admah, Erdboden, Erde und bedeutet „der Erdige". Adam ist aus dem Staub der Erde gemacht und kehrt als Staub zur Erde zurück – diese Vorstellung durchzieht viele biblische Schöpfungserzählungen. Es ist die existentielle Erfahrung des Todes in trocken-heißen Ländern. Das Tote wird innerhalb kurzer Zeit zu Staub: die Sonne dörrt die Körper aus, mumifiziert sie und irgendwann verfallen sie zu Staub. Was aber gibt ihm Leben? Das, was der Mensch mit vielen Tieren teilt, ist der Atem – das unterscheidet ihn von den Pflanzen. Bleibt der Atem aus, werden alle zu Staub. Diese beiden existentiellen Erfahrungen prägen die Erzählung „Vom Anfang": Gott formt den Menschen aus dem Staub der Erde wie der Töpfer – das bekommen auch die Bildhauer der anderen Völker hin, die aus Staub Götterbilder schaffen. Sie sind ohne Atem, tote Götzenbilder. Sie schaffen nur die Illusion, lebendig zu sein. Daher sind sie in Israel durch das Bilderverbot der 10 Gebote verboten. Der Einzige, der in Israel das Bild eines Lebewesens formen durfte, war Gott. Denn er hat die schöpferische Gestaltungsmacht, dem Bild den Odem des Lebens einzuhauchen. Wind, Hauch, Geist Gottes – das ist im Hebräischen immer dasselbe Wort: Ruach JHW. „So ward der Mensch ein lebendiges Wesen", so wird aus Staub Leben. Hier geben Menschen Antwort auf die existentielle Frage, wie aus Nichts, aus Staub, aus Dreck, Leben werden kann. Eine Frage, die uns heute noch beschäftigt: Wie wird aus den Bausteinen des Lebens tatsächlich Leben?
Wie ist aus einer Welt, die nur aus solchen Steinen, Wasser und Staub bestand, ein Lebewesen geworden, wie es jetzt vor mir sitzt, ein Wesen mit Geist, das über sich selbst und solche Fragen nachdenken kann? Es gibt dazu viele Theorien. Keine hat sich bisher durchgesetzt. Wie wird aus unbelebter Natur ein Lebewesen? Das ist eines der großen Geheimnisse, die es gibt. Wie lange noch? Wann werden Forscher in der Lage sein, auf synthetischem Weg Leben zu schaffen und wie wird das alles verändern? Diese Fragen sind die großen Herausforderungen unserer Zeit. Denn mit diesem Schritt macht sich der Mensch endgültig zum Schöpfer, zu Gott. Ein von Menschen geschaffenes Lebewesen, einmal in der Welt, ist ja nicht mehr einfach aus der Welt zu entfernen. Es gibt Stimmen, die warnen eindringlich vor diesem Schritt, weil die Folgen nicht kalkulierbar, nicht absehbar wären. Das Bilderverbot der Bibel ist eigentlich kein Verbot von Bildern: Es ist das Verbot, dass der Mensch sich zum Schöpfer aufschwingt. Dieses Verbot ist aktueller denn je, denn in unserer Zeit geht es nicht mehr um unbelebte Tonfiguren.

Auch die Tiere werden in der Schöpfungserzählung wie der Mensch aus dem Staub der Erde gemacht. Die dahinter stehende Frage: Warum ist die Welt, wie sie ist? Warum ist, was ist?
Die Antwort: So wie Gott sich im Menschen ein Gegenüber geschaffen hat, soll der Mensch ein Gegenüber haben. Der tiefere Sinn der Schöpfung ist Vergesellschaftung: „Es ist nicht gut, dass Adam allein sei. Ich will ihm eine Gehilfin schaffen, die um ihn sei." Hier stehen die Erfahrungen der Hirten im Hintergrund, deren Erfahrungen für die Wahrnehmung der Welt in diesem Bericht ebenfalls prägend waren. Sie sind oft tage-, wochenlang mit den Tieren als einzigen Gesellschaftern unterwegs. Sie machen sich die Tiere zu Gesellen und geben ihnen Namen. Kein Tier gibt sich selbst Namen. Es wird vom Menschen benannt: Ein Schaf ist ein Schaf, weil wir es als Schaf bezeichnet haben. Aber das Alleinsein mit den Tieren ist nicht gut – auch das eine Grunderfahrung der Hirten und Nomaden. An dieser Stelle kommt Eva in der Erzählung ins Spiel.
Ewa, von hawah oder chawah, leben, am Leben bleiben, der Name bedeutet also „die Belebte". Sie wird erschaffen, weil die Tiere kein echtes Gegenüber, keine Gehilfen sind: „Aber für den Menschen wurde keine Gehilfin gefunden." Sie wird nur an zwei Stellen „Ewa" genannt. Ansonsten ist immer von IS=Mann und ISSAH=Frau die Rede. Hier spielt der Text mit den hebräischen Worten: Wie Adam aus der Adamah hervorgeht, geht ISSAH aus dem IS hervor.
Die Lebendige wird auf grundsätzlich anderem Weg erschaffen als Adam und die Tiere. Sie wird nicht aus dem Staub der Erde geformt, sondern aus bereits Lebendigem. Sie ist „Fleisch von seinem Fleisch, Bein von seinem Bein und man wird sie ISSAH nennen, weil sie vom IS genommen ist. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weib anhangen und sie werden ein Fleisch sein."
Aus dieser Erzählung ließen sich patriarchale Ideologien prima ableiten: Theologen haben daraus den Schöpfungsvorrang des Mannes abgeleitet, seine besondere Würde, die Zweitrangigkeit der Frau, halt die „Gehilfin des Mannes", ein Zwischenwesen, nicht Mensch, nicht Tier. Über Jahrhunderte haben Männer aus der Erzählung heraus- und in sie hineingelesen, was sie sowieso schon glaubten: Dass die Frau eine eher niedere Lebensform ist, ein etwas besserer Ersatz für die Tiere. Die Erzählung bot sich dafür sehr gut an – enthielt sie doch Rückprojektionen der patriarchalen Nomaden- und Agrargesellschaften Israels.

Dabei kann man es auch andersherum lesen. IS ist aus Staub. ISSAH ist aus Belebtem. Er ist der Erdmensch, sie die Belebte. Er verlässt Vater und Mutter, um ihr an zu hangen. Er ist nur komplett, wenn er die entstandene Lücke mit ihr füllen kann.

Was gibt uns die Erzählung für unser eigenes Nachdenken über Mann und Frau mit?
In einer durch und durch patriarchalen Welt erzählt sie davon, dass Mann und Frau einander Gehilfen sind, einander brauchen, um komplett zu sein. Sie erzählt davon, dass gelingende Partnerschaft aus 2 Menschen etwas Neues macht, sie eins werden lässt. Davon sprechen viele junge Paare in den Traugesprächen: Von einem vorher nicht gekannten Einvernehmen, einem tiefen Verständnis ohne Worte, von ganz neuen Prioritäten. Die hebräische Sprache nennt den Liebesakt zwischen zwei Menschen „sich erkennen". Darin drückt sich aus, dass Sexualität mehr ist als Körperfunktion, als Befriedung der Triebe. Sie bietet die Chance, sich ganzheitlich zu begegnen, sich zu erkennen.

Wer sind wir als Mann und Frau? Wie begegnen wir uns? Diese Fragen sind in der „me-too-Debatte" in den vergangenen 2 Jahren vollkommen neu aufgebrochen. Dass wir uns auf Augenhöhe begegnen, mit Achtung und Respekt, dass Mann und Frau sich nicht zum Objekt degradieren – all das ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit und daher war und ist diese Debatte bitter nötig.

Die biblischen Erzählungen nehmen geschlechtliche Identität auf der Basis der Erfahrungen der damaligen Zeit als festgelegt und vorgegeben an: Gott schuf sie als Mann und Frau.
Die Erfahrungen unserer Zeit sind andere. Menschen erfahren sich als Mann und Frau, als Divers und Transgender, als heterosexuell und homosexuell liebend. Diese Vielfalt der Geschlechterrollen und der geschlechtlichen Identitäten kennen die biblischen Gesellschaften nicht. Hier haben sie uns nichts zu sagen, was uns weiterhelfen könnte. Aber es wäre ein Fehlschluss, daraus zu folgern, was es in diesen Texten nicht gibt, dürfe es nicht geben, wäre kein Teil der Schöpfung. Die Erzählungen entstehen aus der Lebensperspektive und aus den Erfahrungen der Menschen vor 2500 Jahren. Heute erfahren sich Menschen anders, mit einer ganz anderen Freiheit auch. So ist es die Herausforderung unserer Zeit, darüber nachzudenken, was das heißt, dass Gott den Menschen geschaffen hat als Mann und Frau, als Divers und Transgender, als Homosexuellen und Heterosexuellen. Die Schöpfung ist weitergegangen, vielfältiger geworden und es ist gut, neue Schöpfungsgeschichten dazu zu erzählen und uns nicht auf den engen Erfahrungshorizont der Menschen biblischer Zeit zu beschränken.

Auch unser Glaube an den Schöpfer muss immer wieder neu gedacht werden, aufbrechen, sich verändern und wandeln. Wir können das in dem Vertrauen tun, dass Gott diese Wege weiter begleiten und segnen wird. Auch hier gilt: Ich traue Gott, was soll ich sorgen!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen