Predigten

Estomihi

Predigt am Sonntag Estomihi
Predigttext: 1. Mose 3, 8-11a - Adam, wo bist Du?
Prediger: Pfr. Andreas Friede-Majewski
 

8 Und sie hörten Gott den HERRN,
wie er im Garten ging, als der Tag
kühl geworden war. Und Adam
versteckte sich mit seiner Frau
vor dem Angesicht Gottes des
HERRN zwischen den Bäumen
im Garten.
9 Und Gott der HERR rief Adam
und sprach zu ihm: Wo bist du?
10 Und er sprach: Ich hörte dich
im Garten und fürchtete mich;
denn ich bin nackt, darum versteckte
ich mich.
11 Und er sprach: Wer hat dir
gesagt, dass du nackt bist?
Hast du gegessen von dem
Baum, von dem ich dir gebot,
du solltest nicht davon essen?


Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

Martin Buber beginnt sein Buch „Der Weg des Menschen" mit einer Geschichte. Er erzählt davon, dass der chassidische Rabbi Baal Schem Tov im Gefängnis von seinem Wärter auf die Probe gestellt wird. Dieser fragt ihn scheinheilig, wieso Gott nach der Schrift den Adam im Paradiesgarten gefragt habe, wo er denn sein. Es heiße doch, Gott sei allwissend. Daraufhin antwortete der Baal Schem ihm in aller Ruhe: „Der Mensch versteckt sich immer und in aller Zeit vor dem Einen und Ewigen. Deshalb fragt Gott immer und jeden von uns zu aller Zeit: Adam, wo bist du? Heute fragt er dich!" Erschüttert und beschämt verlies der Wärter seinen Gefangenen.

Adam, wo bist Du? Eva, wo bist Du? Fragt Gott. Auch heute. Auch uns. Warum versteckst du dich? Wo bist du auf deinem Weg? Zu dir selbst? Zu den Menschen? Zu mir, dem Urgrund deines Lebens? Wo bist Du? Es ist ja schon in der biblischen Urgeschichte im Grunde nicht die Frage nach dem Aufenthaltsort. Adam antwortet auch nicht nach dem Motto „Hier bin ich" – er antwortet mit dem Grund für sein Versteckspiel. „Als ich dich hörte, fürchtete ich mich!" Hier wird eine tiefe existentielle Erklärung für alles Versteckspiel, für alle Maskerade benannt: Ich fürchtete mich. Ich fürchte mich. Vor mir selbst, vor den Menschen, vor Gott. Aus einer ungestört vertrauensvollen Beziehung, einem tiefen Urvertrauen zwischen dem Menschen und Gott sind Adam und Eva hinausgefallen – das Paradies, das in dieser Einheit zwischen Gott und Mensch bestand, ist verloren, lange bevor Gott eine Strafe ausspricht. An die Stelle des Vertrauens und der gegenseitigen Liebe ist die Furcht getreten. Adam und Eva sind über eine Grenze getreten, haben Vertrauen missbraucht. Aber sie wollen so nicht sein. Sie fürchten sich vor sich selbst, schämen sich der Blöße, die sie sich gegeben haben und fürchten sich vor den Konsequenzen.

Adam, wo bist du? Wie antworte ich, wie antwortest du auf diese Frage Gottes an diesem Abend? Frei und ohne Furcht, ohne Versteckspiel? Treten wir ohne Maske vor unseren Gott, in dem tiefen Vertrauen, dass das, was er sieht, vielleicht nicht immer gut ist, aber unter seinem Blick gut aufgehoben und bewahrt? Auch die Seiten, die wir an uns selbst überhaupt nicht gut finden. Auch die Seiten, von denen wir ahnen oder gar wissen, dass sie andere Menschen an uns gar nicht gut finden – gerade die uns nahen, vertrauten Menschen.
Es ist die Furcht vor Gott, die Adam und Eva aus dem Paradies vertreibt. Die Furcht vor sich selbst, die Furcht vor Gott, die Furcht vor den Konsequenzen ihres Handelns.
Diese Furcht ist das Erbe Adams. Seitdem lebt der Mensch in Furcht vor Gott, versteckt sich, trägt Masken.

Es gab einen Menschen, der sich nicht versteckt hat. Der furchtlos und in tiefem Urvertrauen von Gott geredet hat und eine innige Beziehung zu Gott gelebt hat. Der Gott „Unseren lieben Vater" genannt hat und sich selbst als „seinen lieben Sohn" verstanden hat. Der auch gegenüber Menschen nie auf das geschaut hat, was sie von ihm denken und wollen und ob sie ihn, so wie er ist, denn auch mögen. Der sich nicht hat verbiegen lassen und sich nicht selbst verbogen hat. Der versucht hat, den Menschen, die ihm begegneten, die Furcht vor Gott und vor sich selbst zu nehmen. Eine Furcht, die sie oft lähmt und krank macht. Er hat sie von ihrer Gottesfurcht geheilt und oft genug damit auch ihren Körper gesunden lassen. Er ist seinen Weg gegangen, ohne Furcht vor Gott und den Menschen. Auch noch, als dieser Weg ins Leiden führte, ans Kreuz und in den Tod. Für mich ist es dieses neue Gottesverhältnis, sein Urvertrauen, seine innige Verbundenheit mit Gott, die Jesus von Nazareth zum neuen Adam machte. Ein Adam, der auf Gottes Frage „Adam, wo bist du", ohne Furcht antworten kann: Hier bin ich.

Adam, wo bist du? Eva, wo bist du? Wie können wir an diesem Abend auf Gottes Suche nach uns antworten. Wo bist du auf deinem einzigartigen Lebensweg? Du sollst nicht nach links und rechts schauen, auf den Weg der Anderen, sondern auf deinen Weg? Wo bist du angelangt? Dieser Weg besteht ja aus verschiedenen Ebenen. Es gibt den äußeren Weg des Menschen, den beruflichen Weg, den Weg in Beziehungen und Familienverhältnisse, den Weg hin zu den Menschen. Und es gibt den inneren Weg, den spirituellen Weg. Er hat zwei Ebenen. Die Ebene der eigenen Identität. Wer bin ich? Wer will ich sein? Wir sind nicht, die wir sind. Wir sind bis zu unserem letzten Atemzug die, die wir werden. Wir wandeln uns, beeinflusst von unserem äußeren Weg, von der Zeit, die sich wandelt, von den Beziehungen zu den Menschen, in denen wir leben. Wir wandeln uns und sollen darüber doch uns selbst und unseren Weg nicht verlieren. Die zweite Seite des inneren Weges ist der spirituelle Weg, der Weg zu Gott. Es ist der Weg in ein immer tieferes Vertrauen, in die Furchtlosigkeit Jesu und letzten Endes der Weg nach Hause, wenn der äußere Weg endet. Wo bist du auf deinem vielfältigen Weg? Hör die Frage, nimm sie mit. Tritt ohne Furcht vor die Menschen, vor dich selbst und vor Gott und gehe dieser Frage nach, die sich jeden Tag neu stellt. Verstecke dich nicht im Gestrüpp des Alltags, den Belanglosigkeiten, in Äußerlichkeiten und ständigen Fluchten. „Mensch, wo bist du?" Die Frage ruft zum Innehalten, zur Einkehr, zur Besinnung. Sie braucht Zeiten wie diesen Gottesdienst heute. Zeiten, in denen wir die leise Stimme hören, die uns ruft und fragt: „Wo bist du?" Wenn ihr sie hört, tretet ohne Furcht vor Gott und antwortet wie Samuel im Tempel, als Gott ihn ruft: „Hier bin ich, Herr, rede du." Macht es nicht wie Adam. Oder gar wie Jona, der meint, er kann vor Gott davonlaufen. Wir müssen keine Furcht vor Gott haben. Es ist die Liebe, die Barmherzigkeit und das brennende Interesse an uns, das in dieser Stimme liegt, die uns ruft: "Mensch, wo bist du!"

Der Frieden, den diese Stimme schenkt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus,
unserem Menschenbruder, der immer eine Seite dieser Stimme sein wird, die uns ruft.

Amen